Ach was! Da heisst es doch glatt im Ärzteblatt, das als das “offizielles Organ der Ärzteschaft” gilt und von der Bundesärztekammer herausgegeben wird: “viele Ärzte stehen mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf Kriegsfuß. Dabei kommt es im klinischen Alltag häufig vor, dass ein Test kein sicheres Ergebnis, sondern nur eine Wahrscheinlichkeit liefert.“
Quelle: Deutsches Ärzteblatt
Würde ein Test ein sicheres Ergebnis liefern, wäre die Wahrscheinlichkeit 1. Somit brauchten wir bei sicheren Ergebnissen keine Wahrscheinlichkeitsrechnung. Aber fragen Sie mal, wie wahrscheinlich ein Ergebnis bei einer Wahrscheinlichkeit von 1 ist. Ich könnte mir vorstellen, alleine mit dieser Frage verunsichern Sie die meisten, obwohl sie völlig eindeutig, ohne Wahrscheinlichkeit, zu beantworten ist. Vermutlich stehen Ärzte mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung auch deshalb auf Kriegsfuß.
Fangen wir ganz einfach an.
Quelle: Bettermarks – erfolgreich Mathe lernen
Kann man also die Frage nach der Wahrscheinlichkeit bei einem sicheren Ergebnis nicht sicher beantworten, fehlt wohl ein wesentlicher Teil aus dem Schulalltag und der Vorlesung Medizinische Statistik.
Steht dort doch ganz eindeutig: “Das sichere Ergebnis hat die Wahrscheinlichkeit 1”. Das heißt übersetzt, ein sicheres Ergebnis hat die Wahrscheinlichkeit 100%. Dafür benötige ich jedoch keine Wahrscheinlichkeitsrechnung mehr. Denn wenn es sicher ist, das die Sonne heute Abend wieder untergeht, muß ich nichts ausrechnen, denn die Wahrscheinlichkeit ist bei 1 und es lässt dies bezüglich auch keinen Spielraum für irgendwelche Spekulationen zu.
Überraschend finde ich, dass am 30.06.2023 besagter Artikel im Deutschen Ärzteblatt publiziert wurde. Plötzlich wird über die Wahrscheinlichkeit von Tests schwadroniert und deren Aussagekraft.
Wer in den letzten 3,5 Jahren allerdings zu den SARS-CoV-2 Tests beispielsweise schrieb, es wäre unverantwortlich, ein Massenscreening mit diesem Test (und ich rede hierbei noch nicht einmal von den Selbsttests sondern ausschließlich von den Labortests!) durchzuführen, handelte sich, gelinde gesagt, Schwierigkeiten ein.
Nichts anderes ist es aber, als schlechte Kommunikation des Massentests, eben genau auch deshalb, weil “(…) viele Ärzte stehen mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf Kriegsfuß.”. Ich würde sogar unterstellen, es ist die Mehrzahl, denn anders kann ich mir diese anlasslose Massentesterei nicht erklären.
Ich habe es schon zigmal gemacht, wiederhole es aber dennoch gerne noch einmal, auch in der Hoffnung, dass vielleicht der eine oder andere Kollege dann die Wahrhscheinlichkeit, die er eigentlich während des Studiums in der Vorlesung Medizinische Statistik gelernt haben sollte, endlich versteht.
Die Kernaussage lautet nach wie vor: Das anlasslose Massenscreening auf irgendetwas ist absolut sinnlos, da es keine aussagekräftigen Ergebnisse liefert. Im folgenden möchte ich dieses wieder einmal anhand der SARS-CoV-2 Tests darlegen. Hierbei beziehe ich nur die Labor-PCR-SARS-CoV-2 Tests ein. Wenn man die Antigenschnelltests noch hinzu nimmt, wird das Ergebnis so schlecht, dass man dann lieber ins Spielcasino gehen sollte, wenn man da noch an eine valide Aussagekraft der Tests glaubt.
Die Aussagekraft von anlasslosen Massentests liegt, wenn sie gut ist, irgendwo im Bereich der gewürfelten Wahrscheinlichkeit.
Wie sieht das nun beim SARS-CoV-2 Labor-PCR Test aus? Hierzu müssen wir folgendes wissen, um die Aussagekraft eines positiven Testergebnisses ausrechnen zu können.
- Wie hoch ist die Prävalenz, d.h. die Auftretenswahrscheinlichkeit von SARS-CoV-2 im Zusammenhang mit einem Test? Diese wird mit 7% angegeben.
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Quelle: Spiegel - Dann müssen wir wissen, wie viele Tests wurden eigentlich bisher durchgeführt?
Diese Zahl wird mit rund 151,3 Mio. angegeben.Quelle: statista
- Nun können wir beginnen, den positiven prädiktiven Wert (PPW) oder auch die positive prädiktive Vorhersagekraft (PPV) des SARS-CoV-2 Labor-PCR Tests zu berechnen.
Das heisst, es wurden bisher 151.300.000 SARS-CoV-2 Tests im Labor (KEINE SCHNELLTEST!) durchgeführt. Die Prävalenz liegt bei 7/100 (=7%). - Somit müssen also 140.709.000 getestete Personen gesund sein und der Rest, 10.591.000 (7% von 151.300.000), müssen somit krank sein. (Auf die Aussage sie seien krank, gehe ich ganz zum Schluß auch noch einmal kurz ein).
Es stellt sich also folgendes Bild dar: - Als nächstes müssen wir die Spezifität (wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Test einen Gesunden auch als tatsächlich gesund erkennt) und die Sensitivität (wie hoch die die Wahrscheinlichkeit, dass der Test einen Kranken auch als tatsächlich krank erkennt) kennen.
Die Spezifität wird mit 95% und die Sensitivität mit 98% im Deutschen Ärzteblatt 2020 zum Labor-SARS-CoV-2 PCR Test angegeben.
Damit können wir nun ausrechnen, wie viele von den Gesunden wurden tatsächlich als Gesund (133.673.550) getestet und wie viele von den Kranken wurden als tatsächlich krank erkannt (10.379.180). Die jeweils restlichen wurden fälschlich als krank diagnostiziert, obwohl sie in Wahrheit gesund waren (7.035.450) bzw. als fälschlich gesund diagnostiziert, obwohl sie krank waren (211.820).
Es ergibt sich folgendes Bild: - Somit lässt sich nun der prädiktive positive Vorhersagewert (PPV) ausrechnen, also der Wert, der angibt, mit welcher Wahrscheinlichkeit jemand, der als krank getestet wurde, auch tatsächlich krank ist.
Hierzu müssen wir die, die tatsächlich und richtig als krank erkannt wurden (10.379.180) ins Verhältnis zu allen setzten, die als krank, egal ob richtig oder falsch, diagnostiziert wurden (7.035.450 + 10.379.180 = 17.414.630) und erhalten folgenden PPV:
Die tatsächliche Wahrscheinlichkeit, dass man an SARS-CoV-2 erkrankt ist, wenn man ein positives SARS-CoV-2 Labor-PCR-Testergebnis (!) hat, liegt bei lächerlichen 60%!
Ich schrieb zu Anfang: Das anlasslose Massenscreening auf irgendetwas ist absolut sinnlos, da es keine aussagekräftigen Ergebnisse liefert. Das liegt in der Natur des Massenscreenings und zwar deshalb, weil hier die Prävalenz von Erkrankungen in aller Regel so extrem niedrig ist, dass man diese erhöhen muß. Die Testsensitivität und -spezifität beim Labor-PCR-SARS-CoV-2 Test ist gar nicht so wirklich schlecht und lässt sich auch nicht viel weiter steigern. Wenn Sie das Ganze aber einmal mit einer Prävalenz von 75% durchrechnen, kommen Sie plötzlich auf einen brauchbaren PPV (in meiner Darstellung oben als PPW = positiver prädiktiver Wert oder auch positive prädiktive Wahrscheinlichkeit bezeichnet). Soll heissen, wenn es noch jemals wieder eine “Pandemie” geben sollte, ist die entscheidende Frage, haben Ärzte die Wahrscheinlichkeitsrechnung bis dahin (hoffentlich) verstanden, denn sonst wird es wieder eine Labor herbei getestete Pandemie werden.
Werden, und das ist immer so, nur die untersucht, bei denen etwas Auffälliges ist und eine entsprechende Erkrankung vermutet wird, getestet, so hat der Test eine deutlich höhere Aussagekraft und damit ist auch das erhaltene Ergebnis weit weg von einem gewürfelten Ergebnis. Das setzt aber, wie beschrieben, voraus, dass die untersucht werden, bei denen etwas Auffälliges vorliegt und nicht einfach mal alle und das mehrfach, weil es so schön ist, gut bezahlt wird oder weshalb auch immer.
Das Leben könnte so einfach sein, wenn man Wahrscheinlichkeitsrechnung versteht. Ich möchte mir gar nicht wünschen, dass man dann auch noch versteht, das ein PCR-Test zur Diagnostik, wovon auch immer, niemals geeignet sein kann, da er genetische Sequenzen testet aber nicht Krankheitserreger nachweist. Wenn dann abschliessend auch noch verstanden wird, dass krank nur der ist, der nicht worauf auch immer, positiv getestet wird, sondern der auch klinische Symptome aufweist, dann sehe ich der nächsten “Pandemie” mit großer Sorge entgegen, denn dann wäre dieses wirklich eine Pandemie und keine Test- und Fehlinterpretations-Pandemie.
Aber woher sollte das Wissen kommen? Die Schule ist rum, das Studium lange zurückliegend und die Bereitschaft sich weiterzubilden bei vielen Ärzten eher weniger intensiv ausgeprägt, wie die letzten 3,5 Jahre gezeigt haben, denn sonst wäre so etwas erst überhaupt nicht passiert. Das hätte man seit dem Studium, Vorlesung Medizinische Statistik, wissen müssen.