Das Cholesterin, eine essentielle organische Verbindung.
Wie auf den Seiten der gesundheitsinformation.de, die dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) gehört, sehr treffend zu lesen ist: “Cholesterin ist ein unentbehrlicher Rohstoff für den menschlichen Körper“. Dann hören die Erkenntnisse aber auch schon auf.
Nicht nur Sie als Patient sondern insbesondere auch wir als Hausärzte können ein Lied davon singen, was es da alles gibt. Gehen Sie zu Ihrem Kardiologen, so haben Sie von diesem mit großer Wahrscheinlichkeit schon gehört, dass man den Cholesterinspiegel auf jeden Fall senken muß, da er definitiv zu hoch sei. Eventuell geht der Kardiologe sogar soweit, dass er sich zu dem Ausspruch “The Low The Better” hinreisen lässt. Das es sich hierbei ausschließlich um einen Marketingslogan handelt, wie schon der Arzneimittelbrief 2015 schrieb, erfahren Sie vermutlich nicht. Es wird Ihnen suggeriert, dass man das Cholesterin zu verteufeln hätte. Gehen Sie dann zu ihrem Hausarzt, dann erfahren Sie etwas anderes und je nachdem wie alternativmedizinisch er unterwegs ist, möglicherweise sogar das genaue Gegenteil.
Auch ich habe immer wieder Patienten, denen ich erklären muß, weshalb es in dem speziellen Fall überhaupt keinen Sinn macht, einen Cholesterinsenker, ein sog. Statin, einzunehmen. Man muß die cholesterinsenkende Therapie durchaus sehr differenziert betrachten.
Dieses möchte ich im Folgenden gerne einmal tun.
Es gibt eine große Studie, die im Rahmen des Cholesterins immer wieder angeführt wird, insbesondere von den Kardiologen. Die Studie heisst IMPROVE-IT. Aufgrund der Ergebnisse dieser Studie resümiert u.a., aber nicht nur, Prof. Dr. med. Klaus G. Parhofer, Medizinische Klinik IV Großhadern, Klinikum der Universität München, wie ihn das Ärzteblatt in einer seiner Aussagen 2017 zitiert: “Diese Analyse der IM-PROVE-IT-Studie bestätigt zum einen, dass zur Prävention kardiovaskulärer Ereignisse noch niedriger noch besser ist, und zum anderen, dass auch sehr niedrige LDL-C-Werte sicher sind – zumindest bis zu einem LDL-C-Bereich von 25–30 mg/dl.” Das stimmt aber gar nicht, denn das kam in der Studie nie heraus. Möglicherweise ausgehend von dieser Zusammenfassung sind die Kardiologen, gefühlt unisono, darauf umgeschwenkt, verteufeln das Cholesterin und wollen mit allen Mitteln, in diesem Fall mit Statinen, das Cholesterin bei Ihnen senken.
Wenn Sie dann möglicherweise selbst etwas recherchieren, finden Sie sehr schnell Bücher wie: “Keine Angst vor Cholesterin!: Was Statine und Co. bei uns anrichten” oder noch deutlicher das Buch “Die Cholesterinlüge“. Das ist dann das genaue Gegenteil von dem, was wie vom Kardiologen gehört haben.
Als Arzt erhalten Sie darüber hinaus naturgemäß noch mehr Informationen und es wird noch schwieriger, ein klares Bild zu bekommen. Gerade aktuell hat die Arzneiverordnung in der Praxis, die von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft herausgegeben wird, die Frage gestellt: “Lipidtherapie: “Je niedriger desto besser” – und was nützt das den Patienten?” und uns gleich auch noch, in derselben Ausgabe, einen “Leitfaden der AkdÄ: “Medikamentöse Cholersterinsenkung zur Vorbeugung kardiovaskulärer Ereignisse” mit auf den Weg gegeben, der teilweise massiv im Gegensatz zu der Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) und der European Atherosclerosis Society (EAS) steht.
Um das Ganze jetzt noch etwas zu verkomplizieren, ist es darüberhinaus noch wichtig zwischen der Primär- und der Sekundärprophylaxe zu unterscheiden.
Die Primärprophylaxe beschreibt den Schutz vor einem erstmaligen Ereignis, z.B. eines Herzinfarktes, aufgrund beispielsweise erhöhter Cholesterinwerte, durch die Senkung des Cholesterinwertes. Die Sekundärprophylaxe hingegen beschreibt den Schutz vor einem weiteren Ereignis, z.B. eines erneuten Herzinfarktes, aufgrund beispielsweise erhöhter Cholesterinwerte, durch die Senkung des Cholesterinwertes.
Haben Sie eine Kalkablagerung in den Halsschlagadern, so soll, nach Aussagen der Arzneimittelverordnung in der Praxis, entsprechend der ESC/EAS Leitlinie die Therapie mittels eines Cholesterinsenkers der Sekundärprävention dienen. Daher sollten Sie ein Statin zur Senkung des Cholesterinwertes einnehmen. Das ist aber niemals so im Rahmen einer Studie untersucht worden und zeigt vermutlich eher “(…) den hohen Anteil interessenkonfliktbelasteter Autoren (…), die an dieser Leitlinie mitgearbeitet haben, wie es nicht nur die Arzneiverordnung in der Praxis so treffend ausdrückt. Denn die IMPROVE-IT Studie läßt nur Aussagen zur Statin-Therapie nach einem akuten Koronarsyndrom zu und untersuchte darüberhinaus nur die Cholesterinsenkung in der Kombination von zwei Präparaten (Ezetimib + Simvastatin) vs. die Senkung des Cholesterinwertes nur durch Simvastatin. Somit sind nur dann Cholesterinsenkungen erfolgsvorsprechend, bezogen auf die harten Endpunkte Tod durch Herzinfarkt oder Schlaganfall, wenn Sie zuvor ein entsprechendes Ereignis erlitten haben. Das heißt, nur im Rahmen der Sekundärprävention auf Herzinfarkt oder Schlaganfall gibt es wirklich aussagefähige Studienergebnisse. Leider ist es oftmals so, das das Kind erst in den Brunnen gefallen sein muß, um es vor einem erneuten Fall in den Brunnen zu schützen und es vorher überhaupt nichts bringt, egal was auch immer unternommen wird.
Sehr gut wird das in der Arzneiverordnung in der Praxis hinsichtlich der harten Erkenntnisse, wer von einer cholesterinsenkenden Statintherapie eine Nutzen hat, zusammengefasst. Hier heisst es: “Unter Sekundärprävention fallen (…) nur Patienten:
- die in einer Herzkatheteruntersuchung oder einer nuklearmedizinischen Untersuchung des Herzens eine nachgewiesene Minderdurchblutungen des Herzens aufgrund einer koronaren Herzgefäßerkrankung haben
- Patienten, die eine chronisch oder akut aufgetretene Minderdurchblutungssymptome wie Brustenge oder Funktionseinschränkungen haben
- Patienten, bei denen ein klinisch plausibler Zusammenhang zwischen einer koronaren Herzgefäßerkrankung oder einer peripheren arteriellen Durchblutungsstörung sowie nach einem Schlaganfall oder einer TIA (vorübergehender Schlaganfallsymptomatik) besteht.
Alle anderen Patienten gelten somit als der Primärpreventionsgruppe zugehörig. Bei dieser Gruppe hat jedoch keine Studie bisher zeigen können, dass die Cholesterinsenkung mittels Statinen von Erfolg gekrönt sei und die Patienten hiervor profitieren würden.
Gleichzeitig wird hier auch ein anderes Problem sichtbar. Was ist eigentlich Primär- und was Sekundärprävention? Ich habe es weiter oben definiert. Demnach zählen die ersten beiden Punkte eher zur Primärprävention, der dritte Punkt ganz sicher zur Sekundärprävention. Auch die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie definiert Sekundärprävention als den Schutz vor einem erneuten kardiovaskulären Ereignis, weshalb nach dieser Definition die ersten beiden Punkte der Primärprävention zugeordnet werden müssen.
Und selbst bei der angesprochenen Sekundärprävention gibt die Arzneiverordnung in der Praxis einen fast verschwindend geringen kleinen Nutzenvorteil einer Behandlung mittels Cholesterinsenker an. Die sog. Number needed to treat (NNT), also die Patientenanzahl, die wir entsprechend behandeln müßten, um einen Patienten vor einem klinisch relevanten Endpunkt, z.B. Tod durch Herzinfarkt oder Schlaganfall zu bewahren, ist so verschwindend klein und beträgt 1:100 Patienten über 5 Jahre. Wir müßten also einen Patienten 500 Jahre lang behandeln, dass wir ihn vor einem entsprechenden tödlichen Ereignis bewahren können. Das ist eine denkbar schlechte NNT.
Die Arzneiverordnung in der Praxis schlußfolgert deshalb: “(…) wie wichtig es ist, der Werbung der pharmazeutischen Industrie und den Aussagen von Meinungsbildnern mit Interessenkonflikten neutrale, evidenzbasierte Informationen über Arzneimittel entgegenzusetzen.”
Dem kann ich nur folgen und überlege immer sehr genau, ob eine Statintherapie überhaupt Sinn macht im entsprechenden Fall oder ob das Risiko einer Therapie nicht größer ist. Nur weil etwas oft verschrieben wird, wozu ganz eindeutig die Statine gehören, machen es noch lange kein Sinn, dieses auch fortzuführen, wenn gleich es meistens extrem viel Aufklärungsarbeit bedeutet, die Patienten von der möglicherweise vorliegenden Sinnlosigkeit der Medikation zu überzeugen.
In der Dezemberausgabe der Zeitschrift für Allgemeinmedizin wurde eine Studie aus dem JAMA (Journal of the American Medical Association) besprochen, bei der es sowohl um die Primär- als auch die Sekundärprävention durch eine Senkung des Cholesterins geht (Evaluating the Association Between Low-Density Lipoprotein Cholesterol Reduction and Relative and Absolute Effects of Statin Treatment). Bei insgesamt leichten Schwächen der Studie kam dennoch zum Vorschein, dass weder eine primäre noch eine sekundäre Prävention durch die Senkung des Cholesterinspiegels einen signifikanten Schutz vor Tod erbracht hat. Damit stellt sich noch einmal mehr die Frage nach dem Nutzen einer cholesterinsenkenden Therapie.
Hinzu kommt dann häufig noch das Alter. Je älter jemand ist, um so mehr kommt es zur Multimedikation, d.h. der Einnahme vieler unterschiedlicher Medikamente, deren interagierender Nebenwirkungen nicht mehr erfasst werden können, so dass gerade im Alter die Frage hinsichtlich des Cholesterins zu stellen ist, ob er Patient mit seinem erhöhten Cholesterinspiegel oder aufgrund eines erhöhten Cholesterinspiegels sterben wird.