Worum es geht

Es geht um Darmkrebs. An dieser Erkrankung sind 2021 10.320 Frauen und 12.727 Männer verstorben. Damit stellt der Darmkrebs die dritthäufigste Todesursache unter den Krebserkrankungen dar. Je älter die Patienten oder je weiter fortgeschritten der Tumor ist, um so geringer sind die Überlebenschancen. (1) Noch vor der Tumortodesursache Darmkrebs stehen die an Brust- und Lungentumor Verstorbene. (2)

Für die Früherkennung eines Darmkrebses stehen sowohl der Test auf verdecktes Blut im Stuhl (iFOBT) als auch eine Dickdarmspiegelung zur Verfügung.

 

Was versprochen wird

Darmkrebs lässt sich früh erkennen und sogar wirksam vorbeugen. So die Aussage in der Darmkrebsfrüherkennungsbroschüre (3, 4), die zumindest gesetzlich Krankenversicherte von ihrer Krankenkasse erhalten, wenn sie über 50 Jahre alt sind.

Weiter heißt es in dieser Broschüre: „Die Darmkrebs-Früherkennung ist für Personen gedacht, die keine Anzeichen und kein besonderes Risiko für Darmkrebs haben.“

Darüber hinaus wird von einigen Ärzten propagiert, dass Darmkrebs immer tödlich und Vorsorgeuntersuchungen unkompliziert seien, sowie viele Leben retten könnten und von Patienten wird berichtet, dass die Vorsorgemaßnahme überhaupt nicht schlimm ist. (5)

 

Was verwechselt wird

In der Broschüre Darmkrebs-Früherkennung wird von einem kostenfreien Angebot zur Früherkennung und Vorbeugung von Darmkrebs gesprochen.

Eine Früherkennung setzt voraus, dass die entsprechende Erkrankung, in diesem Fall Darmkrebs, bereits ausgebrochen und vorhanden ist. Im Rahmen der Früherkennung wird eine bestimmte Erkrankung frühzeitig, in einem Anfangsstadium, diagnostiziert, so dass sie möglicherweise geheilt werden kann oder der weitere Verlauf aufgehalten bzw. hinausgezögert werden kann.

Dieses wird häufig mit Vorsorgeuntersuchungen verwechselt. Eine Vorsorgeuntersuchung kann nur bei gesunden Personen durchgeführt werden. Wäre die Erkrankung bereits ausgebrochen, so handelt es sich um eine Früherkennungsmaßnahme.

Die beiden Begrifflichkeiten Vorsorgeuntersuchung und Früherkennungsuntersuchung sind somit strikt voneinander zu trennen.

Was beachtet werden muss

Vorsorgeuntersuchungen sind an strenge Voraussetzungen gebunden. Sie werden bei symptomlosen, bislang gesunden Patienten durchgeführt, die keine Erkrankung haben. Anderenfalls wäre es keine Vorsorgeuntersuchung mehr.

Nicht nur international, auch in Deutschland sind Vorsorgeuntersuchungen und Screenings auf bestimmte Erkrankungen an eine evidenzbasierte Aufklärung gebunden. Hierbei muss ausführlich über den potenziellen Nutzen sowie den möglichen Schaden und über die Wahrscheinlichkeiten für falsch positive sowie falsch negative Testergebnisse aufgeklärt werden. (6, 7) Diese Aufklärung muss im Vorfeld der geplanten Untersuchung durch einen Arzt erfolgen.

Was in der Informationsbroschüre zur Darmkrebsfrüherkennung wiedergegeben wird

In der Broschüre zur Darmkrebsfrüherkennung werden die Zahlen für die in den nächsten 10 Jahren an Darmkrebs Erkrankte und Gestorbene in den jeweiligen Altersabschnitten angegeben. Da aber eine verlässliche Aussage über die an einer Erkrankung zu Tode kommenden innerhalb eines bestimmen Zeitabschnitts prognostisch nur aus der Zählung der an dieser Erkrankung in der Vergangenheit Verstorbenen möglich ist, handelt es sich hierbei um keine zuverlässigen Zahlen sondern nur um die aus der Vergangenheit bekannten und auf die Zukunft bezogenen Daten.

Selbst unter dieser Erkenntnis ist die Erkrankungshäufigkeit mit 0,007 bis 0,024% und den an Darmkrebs Verstorbenen mit 0,002 bis 0,007% sehr niedrig.

Dieses Risiko steigt, teilweise um bis zu 50% an, wenn weitere Risikofaktoren vorliegen.

Welche Früherkennungsuntersuchungen es gibt

Um Darmkrebs in einem möglichst frühen Stadium diagnostizieren zu können, gibt es zwei mögliche Untersuchungsmethoden. Je früher der Darmkrebs erkannt wird, um so erfolgreicher sind die Therapie- und Heilungschancen.

Als Früherkennungsuntersuchungen stehen ein Test auf verdecktes Blut im Stuhl, der sogenannte iFOBT (immunological Faecal Occult Blood Test) und eine Darmspiegelung zur Verfügung.

Mit Hilfe des iFOBT Test kann Blut im Stuhl nachgewiesen werden, der mit bloßem Auge nicht sichtbar ist. Blut im Stuhl tritt bei verschiedenen Erkrankungen im Darm- und Analbereich auf. Bei Polypen, die sich im Darm finden, kann es zu Blutungen kommen, die mittels des iFOBT nachweisbar sind. Polypen gelten als die Vorstufen einer Darmkrebserkrankung, stellen selbst aber keine Darmkrebserkrankung dar. Unklar ist, in welcher Häufigkeit sich Polypen im Darm tatsächlich zu einem Krebs verändern.

Durch die Darmspiegelung ist der Darm direkt einsehbar und Polypen sowie Schleimhautveränderungen, die eine mögliche Ursache für einen Darmtumor sein können, werden hierbei direkt gesehen und können abgetragen werden. Hierdurch ist die Gefahr der Entartung, hin zu einem Darmkrebs, von diesem Polyp ausgehen, gebannt. Diesen Vorteil bietet der iFOBT nicht. Hier schließt sich, bei positivem Befund, stets eine Darmspiegelung an.

Wie gut die Früherkennungsuntersuchung Darmspiegelung ist.

Im Rahmen der Darmspiegelung zur Früherkennung werden 1% der Darmkrebserkrankungen festgestellt. Bei weiteren 7% werden Adenome in einem fortgeschrittenen Stadium erkannt. Bei einem Adenom handelt es sich um eine Wucherung, deren Malignitätsentwicklung (Entwicklung hin zu einem Tumor), zu diesem Zeitpunkt jedoch keinesfalls sicher abgeschätzt werden kann.

Wie die Darmspiegelung und der iFOBT die Darmkrebssterblichkeit beeinflusst

In einer Untersuchung, veröffentlich im New England Journal of Medicine aus dem Jahr 2022, zeigt sich, dass durch eine Darmspiegelung die Darmkrebssterblichkeit in der Screeninggruppe im Vergleich zu denen, die sich keinem Darmkrebsscreening unterzogen haben, lediglich um absolut 0,03% niedriger war, was nicht signifikant war. (8)

Eine weitere, aktuelle Untersuchung aus Spanien zeigt, dass die Darmkrebssterblichkeit in der Darmspiegelungsgruppe innerhalb von 10 Jahren 0,22% und in der iFOBT-Gruppe 0,24% beträgt, womit der Test auf verdecktes Blut im Stuhl der Darmspiegelung diesbezüglich nicht unterlegen ist. In beiden Gruppen lag die Darmkrebsinzidenz bei 1,22% bzw. 1,13%. (9)

Welche Komplikationen auftreten können

Im Rahmen einer Darmspiegelung müssen zuvor abführende Maßnahmen durchgeführt werden. Diese können sehr kreislaufbelastend sein, so dass es bereits im Vorfeld der Darmspiegelung zu Komplikationen durch Kreislaufbeschwerden kommen kann.

Bei der eigentlichen Darmspiegelung können Darmverletzungen auftreten, bis hin zu schweren Blutungen, die eine operative Versorgung notwendig machen. Das Abtragens von Polypen führen fast immer zu geringfügigen Blutungen, die jedoch bereits noch bei der Darmspiegelung behoben werden können und in der Regel kein größeres Risiko darstellen.

Die Gesamtzahl der Darmblutungen, unabhängig von der Schwere der Blutung, wird mit 0,3% angegeben. Diese Zahl ist in beiden Gruppen (Darmspiegelung und iFOBT) identisch, was jedoch daran liegt, dass nach einem positiven iFOBT eine Darmspiegelung zwingend notwendig erscheint. Für sich alleine betrachtet führt der iFOBT nicht zu Verletzungen des Darms und zu entsprechenden Blutungen, die hierdurch ausgelöst werden. Jedoch können durch den iFOBT falsch positive und falsch negative Ergebnisse auftreten, bei denen es dann nicht notwendigerweise zu einer Darmspiegelung kommt bzw. diese aufgrund des falsch negativen Ergebnisses unterbleibt, womit ein Darmkrebs weiter fortschreiten kann.

Wie hoch das Risiko eines falschen Ergebnisses durch den iFOBT ist

Der iFOBT hat eine Spezifität von 85,0%% und eine Sensitivität von 83,4%. Somit werden in 85,0% der durchgeführten iFOBT Gesunde tatsächlich als Gesund erkannt, jedoch erhalten andererseits auch 15,0% der Patienten ein negatives Ergebnis und wiegen sich somit in falscher Sicherheit, keinen Darmkrebs zum Zeitpunkt der Untersuchung zu haben. In 83,4% der durchgeführten Fälle werden Kranke tatsächlich als solche erkannt. Andererseits werden 16,6% der Fälle Patienten als krank erkannt, die tatsächlich an keinem Darmkrebs erkrankt sind.

Welche Fehlinformationen in der Broschüre Darmkrebsfrüherkennung auftauchen

In der Broschüre zur Darmkrebsfrüherkennung werden die Begrifflichkeiten Vorsorgeuntersuchung und Früherkennung, wie oben ausgeführt, gleichgesetzt und synonym verwendet. Dieses ist jedoch nicht korrekt, da bei einer Vorsorgeuntersuchung keine Erkrankungen diagnostiziert werden können. Würde eine Erkrankung diagnostiziert, würde es sich nicht mehr um eine Vorsorgeuntersuchung handeln. Es könnte sich dann allenfalls noch um eine Früherkennungsuntersuchung handeln, also eine Untersuchung, die eine Erkrankung in einem sehr frühen Stadium entdeckt. Im Rahmen der Früherkennung werden jedoch im Idealfall nur 8% der Darmkrebserkrankungen diagnostiziert.

Weiter wird dargestellt, dass das Beratungsgespräch von allen Vertragsärzten „angeboten werden“ kann. Entsprechend der Vorgaben für Vorsorgeuntersuchungen muss ein entsprechendes Beratungsgespräch, welches auch die Risiken der geplanten Untersuchung sowie die Alternativen aufzeigt, zwingend erfolgen. Hierbei handelt es sich keinesfalls um eine Kann- sondern um eine Muss-Vorschrift, sofern es sich um eine Vorsorgeuntersuchung handelt.

Die Zahlen, wie viele Personen an Darmkrebs gestorben sind, sind aus der Vergangenheit bekannt. Eine Einschätzung, inwieweit entsprechende Vorsorgeuntersuchungen einen Einfluss auf zukünftige diesbezügliche Zahlen haben könnten, lässt sich nicht ohne weiteres sagen.

 

Vor einer Vorsorgeuntersuchung, die immer an bisher nicht erkrankten Patienten durchgeführt wird, muss eine ausführliche ärztliche Aufklärung über den potenziellen Nutzen, die Risiken, die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit falsch positiver oder falsch negativer Testergebnisse aufgeklärt werden.

 

Die in der Darmkrebsvorsorge Broschüre aufgeführten Zahlen zu den in den nächsten 10 Jahren an Darmkrebserkrankten und -gestorbenen sind keine verlässlichen Zahlen, da es sich hierbei ausschließlich um Zahlen aus der Vergangenheit handelt.

Die an Darmkrebserkrankten und -verstorbenen sind sehr niedrig.

 

Zur Früherkennungsuntersuchung stehen der iFOBT und die Darmspiegelung zur Verfügung. Bei einer Darmspiegelung können suspekte Befunde in Form von Polypen, sofort abgetragen werden. Bei einem positiven iFOBT schließt sich eine Darmspiegelung in der Regel an, um zu lokalisieren, woher die Blutung stammt.

 

Durch die Darmspiegelung werden nur bei 1% der Früherkennungen Darmkrebserkrankungen diagnostiziert. Bei weiteren 7% werden Adenome in einem fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Demgegenüber stehen die Komplikationsraten der Darmspiegelung.

 

Die Darmkrebssterblichkeit konnte durch eine Darmspiegelung im Rahmen von Screeninguntersuchungen nur um nicht signifikante 0,03% (abs.) reduziert werden. Allerdings wird dieses schlechte Ergebnis im Rahmen der Untersuchung auf eine schlechte Teilnahme (42%) und eine kurze Nachbeobachtungsphase geschoben.

Die Komplikationsraten durch Darmverletzung und Blutungen, im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung, beträgt in der Gruppe der Darmspiegelungen 0,3% und steht damit in einem, meiner Meinung nach, ungünstigen Verhältnis zu der Darmkrebsdiagnose.

Bei dem iFOBT kann es zu falsch positiven und falsch negativen Ergebnissen kommen, wodurch möglicherweise Darmspiegelungen ausgelöst werden, die nicht notwendig gewesen wären oder unterbleiben, obwohl sie notwendig gewesen wären.

Quellennachweise

(1) https://www.gbe.rki.de/DE/Themen/Gesundheitszustand/KoerperlicheErkrankungen/Krebs/DarmkrebsSterblichkeit/darmkrebsSterblichkeit_node.html?darstellung=0&kennzahl=1&zeit=2021&geschlecht=0&standardisierung=3

(2) https://www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/Publikationen/Kurzbeitraege/Archiv2021/2021_6_Todesursachenstatistik_krebssterblichkeit.html

(3) https://www.g-ba.de/downloads/17-98-4778/2025-01-16_G-BA_Versicherteninformation_Darmkrebsfrueherkennung_Maenner_bf.pdf

(4) https://www.g-ba.de/downloads/17-98-4774/2025-01-16_G-BA_Versicherteninformation_Darmkrebsfrueherkennung_Frauen_bf.pdf

(5) https://www.swr.de/swr1/rp/programm/interview-darmkrebs-vorsorge-prof-juergen-riemann-stiftung-lebensblicke-100.html

(6) Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten. Köln: Bundesanzeiger 2013; (9), 277-282

(7) General Medical Council. (2020). Decision making and consent. Zugriff am 01.06.2025 unter https://www.gmc-uk.org/ethical-guidance/ethical-guidance-for-doctors/consent

(8) https://www.nejm.org/doi/10.1056/NEJMoa2208375

(9) The Lancet, Volume 405, Issue 10486, 1231 – 1239

 

Der nächste Beitrag erscheint am 15. September. Er beschäftigt sich mit den Kosten und dem Gewinn neuer Medikamente.